Dieses Interview ist zuerst im 3w+p Whitepaper "Digitalisierung und Herstellung in Verlagen 2020" in Zusammenarbeit mit dem Börsenblatt im Dezember 2020 erschienen.
Mit Ihrem Budrich Verlag spielen Sie die volle digitale Klaviatur rauf und runter. Vom Newsletter über Social Media bis hin zum Webinar glänzen Sie. Nutzt es einem Wissenschaftsverlag in Corona-Zeiten so digital zu sein?
Vielen Dank – es freut uns, dass wir so wahrgenommen werden. Und wir stechen damit nicht aus der Landschaft der Wissenschaftsverlage heraus. Manche Kolleg*innen legen möglicherweise andere Schwerpunkte zum Beispiel mit Blick auf Social Media oder verzichten auf Webinare als Kontaktpunkte mit den Kund*innen.
Aus meiner Sicht sind zwei Dinge mit Blick auf Digitalisierung vorrangig für uns Wissenschaftsverlage: Die grundsätzliche Digitalisierung der Inhalte und die Bereitschaft, auch Open Access anzubieten. Beides zusammen hat sich in Zeiten der Corona-bedingten Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb bewährt.
Zudem haben wir in den letzten Jahren stärker in die Digitalisierung unserer Arbeitsumgebung investiert. Als wir dann von einem Tag auf den nächsten gut die Hälfte der Belegschaft ins Homeoffice geschickt haben, gab es zwar durchaus zu Beginn ein wenig Chaos, doch die Arbeit lief ohne großen Schluckauf weiter.
Da ich seit Jahren in unterschiedlichen Zusammenhängen Webinare gebe und für mich und mein Team Fortbildungen auch online sehr zu schätzen weiß, hatten wir ausreichend Erfahrung, Know-how und verfügbare Technik, um auch unsere Team- und sonstige Meetings, interne Fortbildungen und den Rekrutierungsprozess ins „Neuland“ zu verlegen und die unterschiedlichen Kommunikationskanäle sowohl intern als auch extern zu nutzen. Wir haben im Frühjahr eine neue Mitarbeiterin eingestellt, die Anfang September das erste Mal von Berlin ins beschauliche Opladen gereist ist: Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch niemanden aus dem Team live und in Farbe treffen können. Auch dies sind nur Beispiele dafür, wie es heute in vielen Häusern läuft – und laufen muss.
Die Notwendigkeit einer ordentlichen Website wird 2020 wohl niemand mehr bestreiten. Was ist noch ein Must-have? Was gehört zur digitalen Minimalausstattung für einen Verlag?
In meinen Workshops und Webinaren zum wissenschaftlichen Publizieren beginne ich immer damit, dass die Teilnehmenden für sich eine Bestandsaufnahme machen: Wo stehe ich und wo möchte ich hin? Erst mit der Beantwortung dieser Fragen können die Teilnehmenden ihre je individuellen Anforderungen und Ziele formulieren. So ist es auch hier: Für mich ist ein Must-have zum Beispiel digitalisierte, mit Metadaten erschlossene, dem aktuellen Wissenschaftsstandard entsprechend aufbereitete, qualitativ hochwertige Inhalte, die auf den wichtigen Branchenplattformen gut sichtbar angeboten und zugänglich gemacht werden können; übrigens dem Kundenwunsch entsprechend ohne hartes DRM und mit umfassenden Nutzungsmöglichkeiten. Das ist aus meiner Sicht die Basis der weiteren Kooperation mit Handel, Bibliotheken und Endkund*innen aus der Wissenschaft. Und für manche Verlagskolleg*innen bereits ein Hauch von Teufelszeug – allein schon aufgrund der fehlenden Kontrolle.
Ich denke, dass die teuren Must-haves für Verlage unserer Größe am besten in Kooperation mit anderen Verlagen zu stemmen sind. Und ich bin froh darüber, dass wir in Zusammenhängen wie utb und scholars e-library Möglichkeiten nutzen können, die uns als Einzelkämpfern verwehrt bleiben würden. Das Aufsetzen der neuen Plattform, die in absehbarer Zeit an den Start gehen wird, ist hier ein gutes Beispiel.
Was bedeutet für Sie „Digitalisierung“ im Kontext der Verlagsherstellung und welche Rolle spielt Satzautomation? Was müssen moderne Workflows heute leisten können?
Die Herstellung in unserem Bereich hat unterschiedliche Aspekte – da spielt die Satzautomation eine wichtige Rolle, aber auch Redaktionssysteme und Verlagssoftware zur Unterstützung beim Projektmanagement oder doch zumindest zur Projektdokumentation.
Wir haben mit unterschiedlichen Anbietern im Bereich der Satzautomation Tests durchlaufen und nehmen aktuell einen erneuten Anlauf. Die Einsparungen beim Satz selbst würden uns natürlich gut tun und wir hätten zugleich die Möglichkeit, sofort quasi in einem Schritt alle benötigten Versionen – print und unterschiedliche eBook-Formate – auszuspielen. Das macht natürlich mehr Spaß, als nahezu jede Version an einem anderen Ort finalisieren zu lassen. Andere unabhängige Verlage sind da schon deutlich weiter. Wir bleiben dran.
Der redaktionelle Workflow ist sowohl für unsere externen Zeitschriftenredaktionen als auch für unser Lektorat im Hause von Bedeutung. Auch hier haben wir bereits experimentiert; doch die bisherigen Lösungen zeigten sich enorm schwerfällig. Mal schauen, ob der aktuelle Neuanlauf hier bessere Ergebnisse zeitigt.
Eine Verlagssoftware haben wir seit 2018 am Start – was im Übrigen für unsere „Homeofficer“ anlässlich des Lockdowns im März von großem Vorteil war.
Sind Verlagskonzerne in der Herstellung maßlos im Vorteil?
Die internationalen Großkonzerne sind in allen ressourcenintensiven Bereichen im Vorteil. Es ist für uns eine große Herausforderung, dass unsere Kund*innen von uns die gleiche technische Raffinesse und die gleiche Vertriebskraft erwarten wie von den Großkonzernen; da können wir alle im Verlags- wie auch im Buchhandelsbereich Lieder von singen. Und zusätzlich wird die persönliche Ansprache erwartet, die uns als mittelständische Publikationspartner so unverwechselbar macht.
Wir hatten kurz von den Großen gelernt, dass Gehälter für Setzer*innen in Indien sehr günstig sind. Doch diese Art des Sparens hatte seinen Preis und wir haben diese Kooperation nach wenigen Versuchen wieder eingestellt. Es hat große Vorteile, wenn Muttersprachler*innen mit unseren Texten arbeiten – auch in der Herstellung. Ein waches Auge auf Rechtschreibung und ein bisschen Freude an den Inhalten hilft. Und daraufsetzen wir mit unseren festen Freien, mit denen wir seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten zusammenarbeiten.
Natürlich werden in vielen Bereichen Automatisierung und KI immer wichtiger. Klar, da haben die Großen die Nase vorn. Sie haben die Ressourcen, um in F&E selbst zu investieren. An die Volumina, die da aufgerufen werden, reichen wir nicht heran. Und die Möglichkeiten gar über öffentlich geförderte Forschungsprojekte die eigene Innovationstätigkeit finanziell unterstützen zu lassen, haben wir nur sehr vereinzelt. Dies gilt für alle Geschäftsbereiche.
Wir tun, was wir können und häufig in Zusammenschlüssen von mittelständischen Unternehmen. In strategischen Allianzen und technologischen Kooperationen liegt die Kraft kleiner und mittelständischer Unternehmen. Wenn wir dies spartenübergreifend in unserer Branche umsetzen können, schaffen wir es auch als KMU die digitale Wende.
Wir danken Barbara Budrich ganz herzlich für das spannende Interview.